Inzwischen wurden alle Gemeinden in Baden-Württemberg durch ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom März 2010 dazu gezwungen, von der frischwasserbezogenen auf die gesplittete Abwassergebühr umzustellen. In Backnang wurden die Daten zur Versiegelung der Grundstücke über eine Selbstauskunft aller Grundstückseigentümer erhoben. Seit 2012 gilt (rückwirkend ab Januar 2011) ein neuer Gebührenmaßstab. Wer bereits vorher Widerspruch eingelegt hat, kommt bereits rückwirkend ab dem Datum des angefochtenen Gebührenbescheids in den Genuß der gesplitteten Abwassergebühr.
Ob Sie selbst von der Änderung profitieren, oder ob Sie (etwa weil Sie einen Supermarkt oder einen Tennisplatz besitzen) jetzt eine höhere Abwassergebühr zahlen, können Sie mit Hilfe unseres Abwassergebührenrechners leicht selbst ermitteln.
Jetzt flattern sie den Hausbesitzern wieder ins Haus. Die Gebührenbescheide der Stadt Backnang und der Umlandgemeinden! Und manch einer ärgert sich wieder über hohe Abschlags- bzw. Nachzahlungen für das Abwasser und fühlt sich dem Gebührengebahren der Gemeinde hilflos ausgesetzt. Allerdings empfiehlt neben Siedlungswasserwirtschaftlern u. a. auch das Umweltministerium des Landes Baden-Württemberg sowie das Landratsamt des Rems-Murr-Kreises den Kommunen seit Jahren, eine gesplittete und damit verursachergerechte Abwassergebühr einzuführen, um siedlungswasserwirtschaftliche Probleme zu lösen und damit auch eine Kostenexplosion bei den Gebühren zu vermeiden.
Nach derzeitiger Rechtsprechung ist die Berechnung der gesamten Abwassergebühren nach dem bisher praktizierten Frischwassermaßstab nur noch in Ausnahmefällen zulässig. Entweder muss der Kostenanteil der Regenwasserentsorgung unter 12 % liegen, oder aber eine homogene Bebauungsstruktur vorliegen. Den Nachweis dafür müssen die Gemeinden erbringen, drücken sich aber wie z. B. in Backnang oder Oppenweiler davor, geltendes Recht umzusetzen!! Vermutlich wissen sie ganz genau, dass sie beide Kriterien nicht einmal annäherungsweise erfüllen und somit eine rechtswidrige Abwassersatzung besitzen!
Bisher verhindern Verwaltung und Gemeinderäte eine gerechtere Gebührenordnung, ohne plausible Gründe dafür zu nennen. Die Folgen sind teuere überdimensionierte Abwasserkanäle zuzüglich deren horrenden Sanierungskosten und der Bau bzw. die Erweiterungen und Betriebskosten von Regenüberlaufbecken und Pumpwerken (= steigende Gebühren). Außerdem muss das Regenwasser, welches unnötig dem Kanal zugeführt wird, in der Kläranlage wieder kostenintensiv behandelt werden. Anstatt die Verursacher zur Kasse zu bitten, werden wir alle zur Finanzierung dieses Missstandes herangezogen. Denn nach wie vor werden im Rems-Murr-Kreis mit Ausnahme von Allmersbach im Tal die Abwassergebühren überall nach dem Frischwasserverbrauch berechnet, was Familien mit Kindern und Bewohner von Mehrfamilienhäusern besonders benachteiligt, müssen sie doch die Kosten für die großflächigen Versiegelungsflächen anderer mitbezahlen, die verhältnismäßig wenig oder gar kein Frischwasser beziehen und somit auch kaum Abwassergebühren bezahlen. Auch Hausbesitzer, die bereits eine Regenwasseranlage betreiben oder wenige Flächen versiegelt haben, werden zu ungerechtfertigten Gebührenzahlungen gezwungen.
Wenn Sie sich von den „Zuzahlungen“ für die versiegelten Flächen anderer befreien wollen, sollten sie innerhalb eines Monats nach Eingang Widerspruch gegen den Bescheid über die Abwassergebühren einlegen. So können Sie dazu beitragen, dass eine gerechtere (gesplittete) Abwassergebühr auch in Backnang und den Umlandgemeinden möglichst schnell Realität wird.
Falls die Gemeindevertretung einen gerechteren Abrechnungsmodus - wie gesetzlich gefordert - für das Abwasser beschließt oder gar durch ein Gerichtsurteil dazu gezwungen wird, haben Sie dann Anspruch auf Rückerstattung der unberechtigt erhobenen Gebühren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass regelmäßig Widerspruch eingelegt wird. Aktuelle Gesetzesänderungen und Gerichtsurteile geben Anlass zur Hoffnung, dass in Zukunft die Stadt Backnang nicht um eine gerechtere Abwassergebühr herumkommt. Derzeit läuft auch ein wichtiges Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim, das darauf hindeutet, dass die bisherigen Ausreden der Gemeinden nicht weiter akzeptiert werden.
„Derzeit ist ein Verfahren zur Erforderlichkeit gesplitteter Abwassergebühren vor dem VGH Mannheim anhängig. In erster Instanz vor dem VG Freiburg sah das Gericht die beklagte Gemeinde (rund 10.000 Einwohner) in der Pflicht, gesplittete Abwassergebühren einzuführen, da es weder die Unterschreitung eines Kostenanteils der Niederschlagswasserbeseitigung von 12 % noch das Vorhandensein homogener Verhältnisse als belegt ansah. Die Nachweispflicht für die Einhaltung eines dieser beiden Kriterien wurde auf Seiten der Gemeinde gesehen.
Die Allevo Kommunalberatung wurde von der Gemeinde beauftragt, als Fachgutachter verschiedene vom VGH geforderte Untersuchungen zu erstellen und das Verfahren zu begleiten. Am 25.10.2007 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Klare Tendenzen für die Entscheidung waren dabei noch nicht zu erkennen. Es wurde aber deutlich, dass sich das Gericht intensiver als in der letzten Entscheidung mit den Kriterien Kostenanteil und Homogenität auseinandersetzt.
Zuletzt hatte der VGH in seinem Urteil vom 07.10.2004 - 2 S 2806/02 die Aussage getroffen, dass im Regelfall bei einer Einwohnerzahl von 60.000 bis 80.000 noch von einer homogenen Siedlungsstruktur ausgegangen werden könne (die Allevo Kommunalberatung war auch in diesem Fall am Verfahren beteiligt, da die zu Grunde liegende Gebührenkalkulation durch uns erstellt war). Unter Berufung auf diese sehr großzügige Aussage konnte der überwiegende Teil der Gemeinden in Baden-Württemberg bisher eine mögliche Verpflichtung zur Einführung gesplitteter Gebühren in Frage stellen.
Vom VG Freiburg wurden nun in der erstinstanzlichen Entscheidung Zweifel daran geäußert, ob es tatsächlich einen entsprechenden Erfahrungssatz geben könne. Daher wird mit Spannung erwartet, wie der VGH entscheiden wird. In der mündlichen Verhandlung am 25.10. wurde von Seiten des VGH die Zusammenstellung zusätzlicher ergänzender Informationen erbeten. Nach der aktuellen Zeitplanung soll nach Vorlage dieser Informationen eine Entscheidung im Frühjahr 2008 fallen.“
Die wichtigsten Gründe für eine zügige Einführung der gesplitteten Abwassergebühr sind:
Dabei darf das Gebührenaufkommen insgesamt nicht geändert werden. Es dürfen keine pauschalen Gebührenerhöhungen stattfinden, sondern lediglich eine Änderung der Gebührenermittlung nach dem Verursacherprinzip. Das heißt, wer viel Regenwasser einleitet, zahlt zukünftig mehr, und wer nur wenig einleitet, weniger Abwassergebühr bei gleichbleibendem Frischwasserverbrauch.
Einen Musterwiderspruch für Backnang können Sie bei uns herunterladen (für andere Orte leicht abänderbar):
Weitere Informationen und aktuelle Gerichtsurteile: | |
Interessengemeinschaft Kommunale Trinkwasserversorgung in Bayern (IKT) | Infos zur gesplitteten Abwassergebühr mit Musterwidersprüchen |
BUND Lemgo
BUND Lemgo |
Wasser, Wasserschutz und Abwasser Gesplittete Abwassergebühr |
„Ist die gesplittete Abwassergebühr notwendig?“ | Fachbeitrag zur gesplitteten Abwassergebühr in der Kommunalen Steuerzeitschrift |
Pressemitteilung der Allevo Kommunalberatung | Zum Stand des Berufungsverfahrens vor dem VGH Mannheim |
„Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung ist Stand der Technik“ | Info zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung |
Wasserbilanz als Planungskriterium | Heiko Sieker zur Nachhaltigkeit in der Siedlungswasserwirtschaft |
Aus einem Buch von Prof. Sieker:
Die Kombination von Versickerung, Rückhaltung und gedrosselter Ableitung bietet im Gegensatz zur strikten Ableitung des Regenwassers über Kanalnetze sowohl wasserwirtschaftliche als auch finanzielle Vorteile. Dies erfordert neue Konzepte und neue Technologien, die in diesem Buch an einer Vielzahl von Projekten vorgestellt und bewertet werden. Ein Leitfaden für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Architekten, Stadtplanern, Freiraumplanern und Fachleuten aus der Siedlungswasserwirtschaft.
Die bisherige Vorgehensweise bei der Regenwasserbewirtschaftung in Siedlungsgebieten, die strikte Ableitung des Regenwassers über Kanalnetze, hat zu unübersehbaren Problemen geführt. Die Kombination von Versickerung, Rückhaltung und gedrosselter Ableitung bietet hier sowohl wasserwirtschaftliche als auch finanzielle Vorteile. Dies erfordert neue Konzepte und neue Technologien, die in diesem Buch vorgestellt und erläutert werden.
Nach einer Einführung in die theoretischen Grundlagen der Regenwasserbewirtschaftung wird anhand einer Vielzahl von Modellprojekten aus den Bereichen Gewerbe, Wohnen und Bestand veranschaulicht, mit welchen planerischen und technischen Lösungen es gelingt, die dezentrale Bewirtschaftung der Regenabflüsse so in die Baustrukturen zu integrieren, dass die ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Ziele einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung erreicht werden.
So dient das Buch als Leitfaden für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Architekten, Stadtplanern, Freiraumplanern und Fachleuten aus der Siedlungswasserwirtschaft.
Elmar Flödl